Alle Märchen und Sagen aus dem Röhr- & Ruhrtal
Unser Ursprung ist Liebe
Thankgrim
Wie Bosoko von Hüsten ermordet wurde und der hl. Ludgerus
in Hüsten zu Eigentum kam
Es war einmal...

Zur Zeit des großen Frankenkaisers Karl wohnte auf dem Wetterhofe bei Arnsberg ein Schulte mit Namen Guntram. Zu den Gastfreunden seines Hauses gehörten zwei Hofesherren in Hüsten: Bruniko und Thankgrim. Sowohl Brunikos Sohn Tiemo wie auch Thankgrims Sohn Bosoko warben um des Wetterhofers schöne Tochter Irmgard.
Während der Vater mehr den tapferen und reichen, aber unfreundlichen Tiemo vorzog, galt Irmgards Liebe dem Waffengefährten ihres Bruders im slavischen Kriege, dem freundlichen Bosoko. Ihre Kälte gegen Tiemo entfachte in diesem einen immer größer werdenden Hass gegen den glücklicheren Nebenbuhler. Auch sein Vater und seine Brüder verfeindeten sich immer mehr mit Bosoko und der ganzen Familie Thankgrims.
Da wurde der Heerbann gegen den vordringenden Kaiser Karl aufgeboten. Auch die Söhne des Wetterhofers und mit ihnen Bosoko zogen hinaus. Tiemo aber schloss sich einer Schar an, die in nächster Nähe des Herzogs Wittekind kämpfte, um sich als tapferer Streiter besonders bemerkbar machen zu können und so zu Ruhm und Anerkennung zu gelangen.
Karl eroberte die Eresburg und zerstörte das Heiligtum der heidnischen Sachsen, die Irmensul. Das Kriegsglück schwankte zwischen den Gegnern, bis es sich endlich Karl in der Schlacht an der Hase ganz zuwandte. Auf dem Wetterhofe herrschte doppelte Trauer: die Freiheit war verloren und der älteste Sohn gefallen. Vom Gram gebeugt gab jetzt endlich Vater Guntram seine Einwilligung zur Heirat seiner Tochter mit Bosoko, dem Freunde seines gefallenen Sohnes. Als Tiemo davon hörte, fasste er mit seinem Vater und seinen Brüdern den Entschluss, den Nebenbuhler zu ermorden.
Einst ritt Bosoko abends vom Wetterhofe durch die Herbreme heim nach Hause. Da fielen plötzlich seine Feinde über ihn her und schlugen ihn nach tapferer Gegenwehr nieder. Sein Knecht, der ihn begleitete, brachte, selbst aus mehreren Wunden blutend, die traurige Nachricht nach Hüsten. Bosokos Vater und seine Brüder brachen sofort auf, aber sie fanden nur noch einen Sterbenden. Durch den noch immerwährenden Krieg wurde es ihnen unmöglich, die Mörder landesrechtlich zu verfolgen.
Als aber der siegreiche Karl ein neues Gesetz und eine neue Ordnung aufgerichtet hatte, klagte Thankgrim, der Vater des Ermordeten, bei dem Centgrafen des Gaues Angeron gegen die Mörder. Der Graf lud die Schöffen der Gemeinden Arnsberg, Hüsten und der Ruhrdörfer zu einem Botding. Die Angeklagten wurden schuldig erklärt und zur Zahlung des festgesetzten Wehrgeldes für die Ermordung eines Freien verurteilt. Weil aber dieses Wehrgeld eine unbeibringlich hohe Summe darstellte, so wurde das ganze Besitztum der Mörder der Familie des Ermordeten zugesprochen. In den Tagen, als das Gericht stattfand, weilte der hl. Ludgerus in Hüsten. Was Kaiser Karl durch das Schwert nicht erreicht hatte, das bewirkte die Predigt der frommen Missionare. Die Bewohner des Landes wurden eifrige Christen und unterstützten durch reichliche Geschenke die Klosterbrüder, die mit dem hl. Ludgerus ausgezogen waren, das Gotteswort zu verkünden. So schenkten denn auch jetzt der Vater und die Brüder des ermordeten Bosoko die ihnen zugesprochenen Güter dem Abte Liudger (Ludgerus).
Der Mord fand so seine Sühne. Als der alte Guntram vom Wetterhofe starb, vermachten Irmgard und ihr jüngerer Bruder den Wetterhof dem neuen Stift Meschede. Irmgard selbst trat in dieses Kloster ein, während ihr Bruder in das Kloster Corbie eintrat.
(Quelle: Arnsberger Sagen, ISBN 978-3-943973-03-7, Hrsg.: Arnsberger Heimatbund e.V.)

Märchen von
Anton Steinbach
Aus dem Buch:
Der Alte vom Müssenberg (1963)

Der Alte vom Müssenberg
Erfahren Sie mehr über den guten Geist des Röhrtals und seine fleißigen Helferlein
Die Hütte am Bollerberge...

In dem Seitental, das sich zwischen der Burgruine Hachen und dem Bollerberg bogenförmig hinzieht und ins Röhrtal ausläuft, stand vor langer Zeit eine armselige Hütte, die an Dach und Wänden so schadhaft war, dass Wind und Regen überall eindrangen.
Zu dem Häuschen gehörten ein kleiner Garten und ein Stück Ackerland.
Alles in allem ein bescheidener Besitz, der einer armen Witwe mit ihren sechs Kindern nicht so viel abwarf, dass die drückende Not im Hause gebannt werden konnte, zumal eine den Wert des Ganzen übersteigende Schuldenlast zu verzinsen war.
Der Mann war schon seit Jahren tot. Er hatte den Acker mit seinen zwei Ziehkühen bewirtschaftet, die aber seine Frau alsbald hatte verkaufen müssen. Nun mühte sie sich ab, das Grundstück mit Grabscheit und Hacke zu bearbeiten. Das ging aber schließlich über ihre Kräfte.
So war sie gezwungen, einen großen Teil brach liegen zu lassen, nachdem sich kein Bauer bereit- gefunden hatte, den steinigen Acker ordnungsmäßig mit Pflug und Egge zu bearbeiten.
Daraus ergaben sich neue und noch größere Sorgen, weil die zum Leben notwendigen Erträge fehlten; und der ständige Hunger war am wenigsten dazu angetan, die seit längerem kränkelnde Frau in ihrem Gesundheitszustande zu bessern.
Es lief alles wie an der Schnur des Teufels; und als die Frau schließlich die fälligen Zinsen nicht zahlen konnte, sollte ihr die letzte Milchkuh gepfändet werden.
Sie glaubte angesichts der Not ihrer Kinder zerbrechen zu müssen und war nach diesem letzten Schlag so geschwächt, dass sie das Essen nicht mehr aufzutischen vermochte, und ihrer elfjährigen Tochter Anna diesen häuslichen Dienst auftragen musste.
Als sie alle bei Tische saßen, sagte sie mit schütterer Stimme:
„Nun esst euch noch einmal an der Milchsuppe satt, Kinder. Morgen werdet ihr keine mehr haben. Gott helfe uns!"
Dann wandte sie sich ab, um die Kinder nicht merken zu lassen, dass sie weinte.
Dennoch entging es ihrem Ältesten, dem dreizehnjährigen Josef, nicht.
Er nahm nach dem Essen Spaten und Hacke aus dem Schuppen und ging den Acker am Walde droben zu bearbeiten. Er hatte sich vorgenommen, die schwere Arbeit, die seiner Mutter Kräfte aufgerieben hatte, zu tun und die Herbstbestellung zur Wintersaat vorzunehmen, weil sonst im kommenden Jahr nichts mehr zum Leben da war.
Er grub mit solchem Eifer, dass ihm bald der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirn rann. Aber er kam nicht vom Fleck. Die Werkzeuge waren für seine schwachen Kräfte zu schwer, und der steinige Brachacker hätte schon einem Erwachsenen die letzten Kräfte abverlangt.
Als der Junge nach Stunden sein Werk überschaute, war er sehr enttäuscht. Was hatte er denn geschafft? So viel wie nichts! Er sah ein, dass er sich zu viel vorgenommen hatte und mit seinen schwachen Kräften niemals das gesteckte Ziel erreichte. Da erfüllte eine unendliche Traurigkeit sein Herz; denn nun war sicher, dass er die Not daheim nicht abzuwenden vermochte und dass im nächsten Jahr kein Brot für den Tisch und keine Streu für die Ziege da war.
In solcher Verfassung trat er unter das Muttergottesbild, das sein Vater unweit des Ackers an einer Eiche angebracht hatte, warf sich auf die Knie und vertraute der hohen Frau unter Tränen seine Bedrängnis an.

Dann nahm er sein Ackergerät auf, um heimzukehren und mit der Mutter zu beratschlagen, wie er auf andere Weise helfen könnte, das Schlimmste abzuwenden.
Da stand plötzlich eine hohe, ehrwürdige Gestalt vor ihm, die in einen groben Mantel von erdgrauer Farbe gekleidet war, und eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Sie sah ihn mit gütigen Augen an, strich über den bis auf die Brust herabwallenden grauen Bart und nahm ihn, als er sich ängstlich davonmachen wollte, bei der Hand und sprach:
„Fürchte dich nicht vor mir. Ich kenne deine Not. Der Alte vom Müssenberg ist ein Freund guter Kinder. Er hilft ihnen und ihren Lieben daheim immer. Sei also guten Mutes und erzähle mir, was deiner Mutter fehlt."
Josef beschrieb ihre Krankheit, so gut er konnte, und bewirkte damit, dass der Alte in die Ledertasche an seinem Lendengurt griff und ihm eine Handvoll Kräuter gab.
,,Deine Mutter", sagte er dazu, ,,leidet an Entkräftung. Sie hat sich übernommen. Sage ihr, sie möge sich von diesen Heilpflanzen einen stärkenden Trunk bereiten und für dieses Geld kaufst du ihr kräftige Speisen. Ich hoffe zu Gott, dass deine Mutter bald wieder gesund sein wird."
Der Junge nahm alles mit Dank hin und wollte sich nun abwenden. Da hielt ihn der Alte zurück und sagte:
,,Auch für die Erlösung aus euren übrigen Bedrängnissen ist gesorgt. Und nun gib mir diese Geräte, die für dich noch zu schwer sind. Morgen früh um sieben, nicht früher, kommst du wieder. Dann wirst du hier andere Werkzeuge finden, die deine Arbeit fördern, und dir Glück und Segen bringen. Du musst nur zwei Bedingungen erfüllen. Bleibe dabei, dich im Gehorsam gegen die Mutter und im Gebet zu Gott zu üben."
Josef wollte seinem Wohltäter noch einmal danken; der aber war so plötzlich im Gebüsch verschwunden, wie er vordem aufgetaucht war.
In einer Wallung von Freude, die ihn jetzt beflügelte und von aller Müdigkeit befreit zu haben schien, eilte er heim, um seiner Mutter zu berichten.
Ganz hinter Atem erzählte er der Reihe nach, was er an Enttäuschung und an schönster Freude erlebt habe. Sie hörte ihn mit einigem Misstrauen an und befürchtete eine Schlinge, die ihr böse Menschen gelegt haben könnten. Aber ihr Argwohn wich mehr und mehr von ihr und sie beschloss, den Weisungen des seltsamen Alten zu folgen und auf Gottes Hilfe zu vertrauen.
Ihre letzten Zweifel verflogen, als sie am Abend einen Brief ihres Gläubigers mit der Quittung über den Empfang der rückständigen Zinsen und erstaunlicherweise der ganzen Schuld erhielt, wozu Josef eine Erläuterung zu geben wusste, der sich jetzt der Worte des Alten entsann.
In diesem Augenblick steckte der Zimmermann den Kopf zur Tür herein und sprach:
,,Mutter Siegart! Ich wollte Euch im Vorbeigehen eben sagen, dass ich morgen früh mit meinem Gesellen komme und Euer Haus ausbessern werde. Für so viel Geld wird es wie neu. Bis morgen also!"
Welches Geld? wollte sie fragen. Aber er war schon weg.
Dann kam der Schneidermeister mit seiner Frau herein, die Kleidermacherin war. Sie wollten mit ihr besprechen, was aus den Stoffen, die sie geschickt habe, geschneidert werden sollte.
,,Es ist immer gut, wenn man noch einen Notgroschen im Strumpf hat. Nun legt Ihr es gut an; denn es soll einen strengen Winter geben."
Eins -zwei -drei hatten die beiden bei allen Maß genommen. Dabei schwatzten sie unentwegt, so dass Frau Siegart gar nicht dazu kam, nach dem Auftraggeber zu fragen.
,,In einer Woche denn", sagten sie und verschwanden, um gleich dem Müllerknecht die Tür in die Hand zu geben. Der war mit drei Eseln da, deren jeder mit einem schweren Sack Mehl beladen war.
Mutter Siegart kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und erfuhr von ihm, der nicht so viel redete, auch nur, dass das Mehl bestellt und bezahlt worden sei und dass er es nur noch abzuliefern habe. Mehr könne er ihr nicht sagen.
Josef jubelte und tanzte in der Stube umher und fragte die Mutter, ob sie nun glaube, was er ihr übermittelt habe. Sie war ganz fassungslos und sagte:
„Was soll man davon denken? Wenn nur nichts Böses dahintersteckt."
„Böses?" meinte Josef. ,,Du hättest den Alten selber sehen sollen! Er ist ein so guter Geist!"
,,Dann lass uns zu Gott beten und ihm danken, Kinder", sagte sie.
Josef konnte in der Nacht keinen Schlaf finden, weil er nicht abzuwarten vermochte, was sich am anderen Morgen ereignen werde. Schon vor der Zeit stand er bereit, um zum Muttergottesbilde zu eilen. Aber er gehorchte der Weisung des Alten und ging erst um sieben.
Der Berggeist hatte Wort gehalten!
An der Eiche unter dem Bilde lehnten eine zierliche Hacke und ein ebenso handlicher Spaten, wie für ihn geschaffen.

Von Dank erfüllt machte er sich auf dem elterlichen Acker an die Arbeit, um die neuen Werkzeuge zu versuchen. Da musste er sich die Augen reiben, ob er sich nicht täusche. Die ganze Fläche des Hauptackers war umgegraben und für die Wintersaat bereitet. Wie gut doch dieser Alte vom Müssenberg war!
Josef entschloss sich jetzt frohen Herzens, jene andere Fläche anzugehen, die schon seit seines Vaters Tode wüst gelegen hatte und mit Hederich, Quecken, Hahnfußgewächsen und ähnlichem Zeug völlig verunkrautet war.
Hei, wie die neuen Werkzeuge flogen! Als wenn sie von unsichtbaren Riesenarmen geschwungen würden. Frisch wie in der ersten Stunde und ohne die Spur von Müdigkeit grub er zur Mittagszeit noch und nach einem kurzen Imbiss bis in die Abendstunde hinein. Es war eine Freude, ihm zuzuschauen.
Als die Sonne hinter die Berge sank, war das Werk getan. Josef eilte behende, wie wenn er einen Spaziergang hinter sich hätte, nach Hause. Was er mit der geheimen Hilfe des Alten vom Müssenberg bewerkstelligt hatte, wäre auch einem starken Manne ohne diese Hilfe nicht gelungen.
Trotz allem war für den Knaben sicher, dass er den Acker vor dem drohenden Winter nicht mehr werde bestellen können, wenn er nicht noch Helfer fand. Aber diese Sorge war unnötig. Anderntags konnte er nämlich feststellen, dass wieder einer in der Bearbeitung der Äcker mitgeholfen hatte. Am übernächsten Morgen war alles schon mit Roggen eingesät, eine Fläche von mehr als drei Morgen.
Nun konnte die Familie am Bollerberge getrost dem Winter entgegensehen, zumal auch das Häuschen wieder wetterfest geworden war und der Schneider die warmen Kleider geliefert hatte. Das folgende Jahr brachte eine gute Ernte und als der Herbst kam, waren die unsichtbaren Geister des Bergriesen wieder am Werk und bestellten die Äcker. Es gab noch einmal eine gute Ernte und wieder war es Herbst und Bestellungszeit, als Josef, der seit einiger Zeit bei einem Bauern in Diensten stand, in der Frühe des Morgens auf der alten Burg zu tun hatte, von wo er die eigenen Acker überschauen konnte.
Da sah er dort eine große Schar winziger Männlein, die emsig hackten und gruben.
Wie von einem Windhauch angerührt oder von einem Ruf aufgeschreckt, hielten sie allesamt plötzlich inne und spähten zur Burg hinüber. Sie hatten gewittert, dass sie beobachtet wurden, und ließen augenblicklich von ihrer Arbeit ab. Husch, husch wie der Wind waren sie davon!

Josef wusste nun, wer seine fleißigen Helfer gewesen waren. Aber dieses Wissen musste er damit bezahlen, dass sie nie wiederkamen.
Nun, das war nicht gar so schlimm. Er war ja mittlerweile ein kräftiger Kerl geworden und hatte die Landwirtschaft genug erlernt, um seinen Acker nun selber bearbeiten zu können.
Er schaffte sich das nötige Gerät und einen Zugochsen an, werkte auf seinem Anwesen unermüdlich und sorgte für seine kleinen Geschwister in der liebevollsten Weise.
Seine Mutter aber, die wieder gesund geworden war, hatte Freude an ihm und sah, wie die Kleinen heranwuchsen und in die Fußstapfen des Vaters und ihres Bruders Josef traten und am Wohlstand des Hauses mitwirkten.
Sie wurde sehr alt und lebte bis an ihr seliges Ende glücklich und zufrieden.
Quelle: "Der Alte vom Müssenberg“ Norbert Voß, neu erzählt nach einem fast vergessenen Sagenbuch von Anton Steinbach / Engelbert-Verlag / Balve/Westf.
Thietmar von Wichlo
Heimatgeschichtliche Erzählung aus der Zeit der Sachsenkrieger
Die Sage berichtet…
Durch die klare Mondnacht in den Wäldern längst der Röhr scholl der dröhnende Hufschlag eines Pferdes. Thietmar, der Sachsenführer, raste auf schaumbedecktem Tiere von der Ruhr her ins Tal hinein. Wo das fahle Licht die dichten Baumkronen am Waldpfad durchbrach, sah man ein schreckhaft erregtes Gesicht unter dem Eisenhelm auftauchen. Vor dem Tore des Talhofs hielt der Reiter mit einem Ruck und schlug dreimal mit dem Speerschafft an die Bohlen des Eingangs. Laut ließ er den Kriegsruf hallen, bis drinnen der Wächter Antwort gab. „Sputet euch," rief Thietmar, „Frankenvolk zieht von den Höhen, und auch im Ruhrtal sah ich Waffen blinken. Greift zu den Waffen und eilt euch in den Ringwall“.
Weiter raste der Reiter in die Nacht hinein, an jedem Gehöft brüllte er die Schreckenskunde übers Tor.
Im ersten Morgengrauen kehrte er selbst über den Höhenweg von Arnsberg an seinem Gehöft vorbei zurück. Er sah, wie die Schar der Anwohner sich am Tor der Wallburg staute, angstvoll lärmte das Getümmel der Frauen und Kinder. Unweit des Müssenberges hatte man Vieh und Habe in schwer zugängliche Sümpfe gebracht, dennoch schleppte mancher schweren Vorrat mit sich.
Thietmar sah flüchtig seiner Verlobten Fricka ins Gesicht. „Das ist Christentugend“ rief er und deutete mit dem Speer gen Osten, wo die Flammen eines brennenden Gehöftes den Horizont röten. Er sah nicht mehr, wie Fricka, selbst dem Christentum zugetan, bei seinen Worten schmerzlich zusammenzuckte, denn der Strom der Flüchtlinge riss ihn zur Mitte hin. Dort stand auf erhöhtem Platz der greise Diethelm am Opferstein. Mit machtvoller Stimme gebot der Alte Ruhe, und still ward es im Ringwall.
Es galt ja der Götter Huld zu gewinnen, und Diethelm versah das hehre Amt. „Nur mühsam“, begann der Greis, „entrann ich den Franken, und drüben lodern die Flammen meines Gehöftes. Nicht brauchen wir also heute Notfeuer auf aufragenden Bergen. Christenhände entfachten das Feuer in unseren Gauen. Gegen Wotans Gewalt kämpft der weiße Gott der Christen, und machtvoll ist sein Aufgebot. Mit wilden Worten suchte Karl der Franke uns zu betören, kraftlos zu machen unseres Volkes Schwertarm.
Da erschlugen wir der fremden Priester, und nun dräut gewaffneter Heerzug der Franken in unsern Tälern. Erschlagen liegt Imma, die weise Drude, am Götterberg bei ihrem zerstörten Altar. Für der Väter Götter kämpfen wir, Wotan wird uns Sieg verleihen.“
Da schlug das Volk wild die Waffen zusammen und brüllte den Kriegsgesang in die Schilde. Feurig tauchte die Sonne am Horizont aus dem Nebeldunst auf. Da ließ Diethelm ein junges Ross herbeiführen und erstach das Tier über dem Steine. Hastig schöpften die Männer mit der hohlen Hand das warme Blut, das aus der Rinne floss, um den Opfertrank zu trinken. Die Menge verharrte in Schweigen, auf dem Ringwall dröhnte die Schritte der Wachen. Der Berg auf dem die Wallburg lag, fiel steil nach 3 Seiten hin ab.
Den Norden, wo die Senkung sanfter, waren die Wälle am höchsten. Eifriger spähten dort die Wächter, als Hufschlag vom Saumpfad her tönte. Doch einer der Ihrigen war's; „Hallo“ rief der mit lauter Stimme in den Wald hinein: „seid auf der Hut, denn nicht säumt mehr der Feind; Heeresvolk zieht durch das Tal, und im Wald klingen fränkische Waffen.“
Die Männer griffen zu Schild und Speer und eiten auf ihre Posten. Thietmar späte vom Südwall ins Tal. Drunten an der Lichtung sah man bewaffnete Frankenreiter halten.
Gero, der Anführer, hielt auf schwarzem Ross und deutete mit dem Schwert auf die Wallburg. Neben ihm ritt Baduard, der Franken Priester, den Thietmar vor kurzem vertrieben hatte. „mich dauert das Volk“, sprach Baduard „und ungern sah ich die Männer fallen auf blutiger Walstatt“.
Gero antwortete ihm mit finsterem Blick: „Ungern auch hörte ich dich sprechen, denn nur unser Kriegsschwert schützt dein Haupt. Lassen musstest du vor Thietmars Wut ja erst kürzlich die Gaue.“ Baduard entgegnete seufzend: „lieb ist mit Thietmar dennoch, und Fricka seine Braut, ist schon Christin.“
Gero schwieg und Ritt zu den Reihen der Franken. Leicht dünkte ihnen der Kampf um die Burg, denn nur 50 Sachsen beschützten die Wälle.
Geros Streitmacht, an 100 Krieger, ordnete sich zum Sturm. Sie hielten die Schilder aufs Haupt und liefen die Höhe hinan. Nach Möglichkeit wichen sie behände den herabrollenden Steinen aus; doch grimmig war der Empfang an den Wällen. Speere und Pfeile sausten herab und getroffen stürzten die Kühnsten. Die anderen flohen zurück und mancher noch viel auf der Flucht, zerschmettert von wuchtigen Steinen. Gero lachte bitter, umritt den Berg und gewahrte den sanfteren Abhang gen Norden. Dorthin führte er die tapfersten und ließ dann den Berg umzingeln. Drunten am Waldbach zimmerten die Frankenkrieger eilig ein Sturmdach, dann riefen Heerhörner zum Angriff. Der Hauptsturm kam von Norden her. Dort nahten die Franken hinter dichtem Sturmdach. Brandpfeile sandten sie auf die Walburg und hörten erfreut den Aufschrei des Volkes. Thietmar stand am Nordwall, neben ihm Bodo, sein Waffenmeister. „Ernst wird der Kampf,“ sprach Thietmar, „doch stärker ist Wodan, der Weltenbeherrscher, als der gleiche Gott der Christen.“ Bodo antwortete nicht mehr, ein Frankenpfeil war ihm in die treue Brust gefahren und stumm sank er hin. Thietmar warf nutzlos sein Beil auf das Sturmdach der Franken, und nahe am Wall schon standen die Feinde. Da riss er den Opferstein vom Altar und schleuderte ihn zornig mit Macht auf das Schutzdach. Die Balken brachen, das Schutzdach zerbarst, und laut hallte der Wehschrei der Franken. Jauchzend sprangen die Sachsen vom Wall, der Sieg war gewonnen, und vergebens trieb Gero die Seinen noch an. Thietmar bahnte sich mit Schild und Schwert einen Weg durch das Getümmel bis zu Baduard, dem Frankenpriester, der ahnungslos auf seinem Pferde hielt. Hochschwand Thietmar sein Schwert auf dem waffenlosen Priester, da stürzte sein Ross, getroffen von Geros Hand. Der Franken Graf schleuderte seinen Speer auf Thietmar, der sich eben vom Falle erhob. Baduard sah´s und warf sich dazwischen. Der Speer durchfuhr seon Herz und still sank er um auf den Rasen. Aufschrie Gero und stieß ins Heerhorn zum Rückzug. Wiederum flohen die Franken eilig den Abhang hinunter, verfolgt von den siegfrohen Sachsen.
Nicht weit vom Wall hielt Thietmar wacht beim sterbenden Franken Priester. Der Kampf kümmerte ihn nicht mehr und gleichgültig hörte er das Siegesgeschrei der Seinen. Durchs Röhrtal flohen geschlagen die Franken, verfolgt von den Sachsen. Thietmar bemühte sich nicht mehr, das rinnende Blut an Barduards Wunde zu stillen. Friede lag über den bleichen Gesichte des Toten. So hielt Thietmar allein die Totenwacht, bis Fricka nahte, erfreut, ihn zu finden. Als sie entsetzt den Toten gewahrte, flüsterte Thietmar ihr zu: „Sein Leben ließ er für mich. Stärker ist der Christengott als Wotan. Auch ich unterstelle mich dem Zwang seiner Liebe Macht.“
Die Sonne stieg höher und in den Tälern schwanden die Schatten der Nacht.
Geschrieben von Eduard Stakemeier, Professor zu Paderborn
erschienen im Heimatkalender für den Amtsbezirk Hüsten im Jahr 1930
Die gesühnte Schuld
Lesen Sie die Sage der Rodentelgen-Kapelle
Die Sage berichtet…
Als ein Enkel Barbarossas, Friedrich II, den fünften Kreuzzug nach Jerusalem führte, nahm auch ein Ritter aus der Gemarkung Bruchhausen daran teil. Bei der Heimkehr empfing ihn seine Gattin mit jubelnder Freude. Der Bruchvogt missgönnte seinem Herrn dieses Glück. Dazu kam die Rachsucht des Vogts, der während der Abwesenheit des Ritters dessen Frau begehrt hatte, von ihr jedoch abgewiesen worden war. Dafür sollte sie büßen.
Eines Tages flüsterte er dem Ritter voller Arglist zu, seine Gemahlin habe ihm während des Kreuzzuges die Treue gebrochen. Blind vor Zorn zog der Ritter das Schwert und durchbohrte das Herz seiner unschuldigen Gattin. Sterbend beschwor sie ihrem Gemahl die Wahrheit: “Nie bin ich dir untreu gewesen; schuldig allein ist der Burgvogt, der mich aus Rache verleumdet hat.“ Ein furchtbarer Reueschmerz durchzuckte den Ritter, dem es wie Schuppen von den Augen fiel. Mit sanfter Hand schloss er die gebrochenen Augen seiner toten Gattin. Dann durchbohrte sein Schwert die Brust des tückischen Burgvogts. Doch das Gewissen ließ dem Ritter keine Ruh und trieb ihn von Ort zu Ort.
Die grausige Tat, zu der er sich in jähem maßlosen Zorn hatte hinreißen lassen, stand überall vor seiner Seele. Die Flucht vor sich selbst endete unweit der Burg an der Ruhr dort, wo eine Furt durch den an dieser Stelle seichten Fluss ging. Hier rodete der Ritter den Wald und richtete sich eine stille Klause ein. Dann baute er am selben Ort eine Kapelle zu Ehren der Büßerin Magdalena. Daneben pflanzte er eine Linde. Sie sollte einst sein Grab beschatten. Buße und Gebet und Entsagung füllten fortan das Leben des an Leib und Seele gebrochenen Ritters. Als er, hochbetagt und mit Gott versöhnt, starb, ward er unter der Linde zur letzten Ruhe gebettet.
Reuther/Brüschke Bruchhausen Ruhr Seite 104
Der Riese Hün
Der Riese Hün wohnt seit Jahrhunderten beim Dorf Oeventrop in der Höhle am Hang des Berges Hünenburg. Der Zugang zur Höhle ist geheim
Die Sage berichtet…
Morgens wäscht sich der Riese mit dem Wasser der Ruhr, die unten am Berg vorbeifl ießt. Weil er so groß ist, braucht er nicht ins Tal hinabzusteigen. In einem großen Schritt setzt er ein Bein auf den gegenüberliegenden Hasenacker, während sein anderes Bein auf der Hünenburg steht. Dann beugt er sich tief hinunter und macht seine Morgenwäsche. Dabei prustet und gurgelt er so laut, dass man es manchmal im Dorf hören kann.
Aus „Fragt doch mal den Riesen Hün“ von Ludwig Hoppe / Ida Stutzinger Geschichten über die Geschichte des Dorfes Oeventrop ISBN: 978-3-943973-63-1
