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Märchen von 
Anton Steinbach

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Anton Steinbach

Der Alte vom Müssenberg

Erfahren Sie mehr über den guten Geist des Röhrtals und seine fleißigen Helferlein

Die Hütte am Bollerberge...

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In dem Seitental, das sich zwischen der Burgruine Hachen und dem Bollerberg bogenförmig hinzieht und ins Röhrtal ausläuft, stand vor langer Zeit eine armselige Hütte, die an Dach und Wänden so schadhaft war, dass Wind und Regen überall eindrangen.

 

Zu dem Häuschen gehörten ein kleiner Garten und ein Stück Ackerland.

Alles in allem ein bescheidener Besitz, der einer armen Witwe mit ihren sechs Kindern nicht so viel abwarf, dass die drückende Not im Hause gebannt werden konnte, zumal eine den Wert des Ganzen übersteigende Schuldenlast zu verzinsen war.

Der Mann war schon seit Jahren tot. Er hatte den Acker mit seinen zwei Ziehkühen bewirtschaftet, die aber seine Frau alsbald hatte verkaufen müssen. Nun mühte sie sich ab, das Grundstück mit Grabscheit und Hacke zu bearbeiten. Das ging aber schließlich über ihre Kräfte.

So war sie gezwungen, einen großen Teil brach liegen zu lassen, nachdem sich kein Bauer bereit- gefunden hatte, den steinigen Acker ordnungsmäßig mit Pflug und Egge zu bearbeiten.

Daraus ergaben sich neue und noch größere Sorgen, weil die zum Leben notwendigen Erträge fehlten; und der ständige Hunger war am wenigsten dazu angetan, die seit längerem kränkelnde Frau in ihrem Gesundheitszustande zu bessern.

Es lief alles wie an der Schnur des Teufels; und als die Frau schließlich die fälligen Zinsen nicht zahlen konnte, sollte ihr die letzte Milchkuh gepfändet werden.

Sie glaubte angesichts der Not ihrer Kinder zerbrechen zu müssen und war nach diesem letzten Schlag so geschwächt, dass sie das Essen nicht mehr aufzutischen vermochte, und ihrer elfjährigen Tochter Anna diesen häuslichen Dienst auftragen musste.

Als sie alle bei Tische saßen, sagte sie mit schütterer Stimme:

„Nun esst euch noch einmal an der Milchsuppe satt, Kinder. Morgen werdet ihr keine mehr haben. Gott helfe uns!"

Dann wandte sie sich ab, um die Kinder nicht merken zu lassen, dass sie weinte.

Dennoch entging es ihrem Ältesten, dem dreizehnjährigen Josef, nicht.

Er nahm nach dem Essen Spaten und Hacke aus dem Schuppen und ging den Acker am Walde droben zu bearbeiten. Er hatte sich vorgenommen, die schwere Arbeit, die seiner Mutter Kräfte aufgerieben hatte, zu tun und die Herbstbestellung zur Wintersaat vorzunehmen, weil sonst im kommenden Jahr nichts mehr zum Leben da war.

Er grub mit solchem Eifer, dass ihm bald der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirn rann. Aber er kam nicht vom Fleck. Die Werkzeuge waren für seine schwachen Kräfte zu schwer, und der steinige Brachacker hätte schon einem Erwachsenen die letzten Kräfte abverlangt.

Als der Junge nach Stunden sein Werk über­schaute, war er sehr enttäuscht. Was hatte er denn geschafft? So viel wie nichts! Er sah ein, dass er sich zu viel vorgenommen hatte und mit seinen schwachen Kräften niemals das gesteckte Ziel erreichte. Da erfüllte eine unendliche Traurigkeit sein Herz; denn nun war sicher, dass er die Not daheim nicht abzuwenden vermochte und dass im nächsten Jahr kein Brot für den Tisch und keine Streu für die Ziege da war.

In solcher Verfassung trat er unter das Muttergottesbild, das sein Vater unweit des Ackers an einer Eiche angebracht hatte, warf sich auf die Knie und vertraute der hohen Frau unter Tränen seine Bedrängnis an.

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Dann nahm er sein Ackergerät auf, um heimzukehren und mit der Mutter zu beratschlagen, wie er auf andere Weise helfen könnte, das Schlimmste abzuwenden.

Da stand plötzlich eine hohe, ehrwürdige Gestalt vor ihm, die in einen groben Mantel von erdgrauer Farbe gekleidet war, und eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Sie sah ihn mit gütigen Augen an, strich über den bis auf die Brust herabwallenden grauen Bart und nahm ihn, als er sich ängstlich davonmachen wollte, bei der Hand und sprach:

„Fürchte dich nicht vor mir. Ich kenne deine Not. Der Alte vom Müssenberg ist ein Freund guter Kinder. Er hilft ihnen und ihren Lieben daheim immer. Sei also guten Mutes und erzähle mir, was deiner Mutter fehlt."

Josef beschrieb ihre Krankheit, so gut er konnte, und bewirkte damit, dass der Alte in die Ledertasche an seinem Lendengurt griff und ihm eine Handvoll Kräuter gab.

,,Deine Mutter", sagte er dazu, ,,leidet an Entkräftung. Sie hat sich übernommen. Sage ihr, sie möge sich von diesen Heilpflanzen einen stärkenden Trunk bereiten und für dieses Geld kaufst du ihr kräftige Speisen. Ich hoffe zu Gott, dass deine Mutter bald wieder gesund sein wird."

Der Junge nahm alles mit Dank hin und wollte sich nun abwenden. Da hielt ihn der Alte zurück und sagte:

,,Auch für die Erlösung aus euren übrigen Bedrängnissen ist gesorgt. Und nun gib mir diese Geräte, die für dich noch zu schwer sind. Morgen früh um sieben, nicht früher, kommst du wieder. Dann wirst du hier andere Werkzeuge finden, die deine Arbeit fördern, und dir Glück und Segen bringen. Du musst nur zwei Bedingungen erfüllen. Bleibe dabei, dich im Gehorsam gegen die Mutter und im Gebet zu Gott zu üben."

Josef wollte seinem Wohltäter noch einmal danken; der aber war so plötzlich im Gebüsch verschwunden, wie er vordem aufgetaucht war.

In einer Wallung von Freude, die ihn jetzt beflügelte und von aller Müdigkeit befreit zu haben schien, eilte er heim, um seiner Mutter zu berichten.

Ganz hinter Atem erzählte er der Reihe nach, was er an Enttäuschung und an schönster Freude erlebt habe. Sie hörte ihn mit einigem Misstrauen an und befürchtete eine Schlinge, die ihr böse Menschen gelegt haben könnten. Aber ihr Argwohn wich mehr und mehr von ihr und sie beschloss, den Weisungen des seltsamen Alten zu folgen und auf Gottes Hilfe zu vertrauen.

Ihre letzten Zweifel verflogen, als sie am Abend einen Brief ihres Gläubigers mit der Quittung über den Empfang der rückständigen Zinsen und erstaunlicherweise der ganzen Schuld erhielt, wozu Josef eine Erläuterung zu geben wusste, der sich jetzt der Worte des Alten entsann.

In diesem Augenblick steckte der Zimmermann den Kopf zur Tür herein und sprach:

,,Mutter Siegart! Ich wollte Euch im Vorbeigehen eben sagen, dass ich morgen früh mit meinem Gesellen komme und Euer Haus ausbessern werde. Für so viel Geld wird es wie neu. Bis morgen also!"

Welches Geld? wollte sie fragen. Aber er war schon weg.

Dann kam der Schneidermeister mit seiner Frau herein, die Kleidermacherin war. Sie wollten mit ihr besprechen, was aus den Stoffen, die sie geschickt habe, geschneidert werden sollte.

,,Es ist immer gut, wenn man noch einen Notgroschen im Strumpf hat. Nun legt Ihr es gut an; denn es soll einen strengen Winter geben."

Eins -zwei -drei hatten die beiden bei allen Maß genommen. Dabei schwatzten sie unentwegt, so dass Frau Siegart gar nicht dazu kam, nach dem Auftraggeber zu fragen.

,,In einer Woche denn", sagten sie und verschwanden, um gleich dem Müllerknecht die Tür in die Hand zu geben. Der war mit drei Eseln da, deren jeder mit einem schweren Sack Mehl beladen war.

Mutter Siegart kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und erfuhr von ihm, der nicht so viel redete, auch nur, dass das Mehl bestellt und bezahlt worden sei und dass er es nur noch abzuliefern habe. Mehr könne er ihr nicht sagen.

Josef jubelte und tanzte in der Stube umher und fragte die Mutter, ob sie nun glaube, was er ihr übermittelt habe. Sie war ganz fassungslos und sagte:

„Was soll man davon denken? Wenn nur nichts Böses dahintersteckt." 

„Böses?" meinte Josef. ,,Du hättest den Alten selber sehen sollen! Er ist ein so guter Geist!"

,,Dann lass uns zu Gott beten und ihm danken, Kinder", sagte sie.

Josef konnte in der Nacht keinen Schlaf finden, weil er nicht abzuwarten vermochte, was sich am anderen Morgen ereignen werde. Schon vor der Zeit stand er bereit, um zum Muttergottesbilde zu eilen. Aber er gehorchte der Weisung des Alten und ging erst um sieben.

Der Berggeist hatte Wort gehalten!

An der Eiche unter dem Bilde lehnten eine zierliche Hacke und ein ebenso handlicher Spaten, wie für ihn geschaffen.

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Von Dank erfüllt machte er sich auf dem elterlichen Acker an die Arbeit, um die neuen Werkzeuge zu versuchen. Da musste er sich die Augen reiben, ob er sich nicht täusche. Die ganze Fläche des Hauptackers war umgegraben und für die Wintersaat bereitet. Wie gut doch dieser Alte vom Müssenberg war!

Josef entschloss sich jetzt frohen Herzens, jene andere Fläche anzugehen, die schon seit seines Vaters Tode wüst gelegen hatte und mit Hederich, Quecken, Hahnfußgewächsen und ähnlichem Zeug völlig verunkrautet war.

Hei, wie die neuen Werkzeuge flogen! Als wenn sie von unsichtbaren Riesenarmen geschwungen würden. Frisch wie in der ersten Stunde und ohne die Spur von Müdigkeit grub er zur Mittagszeit noch und nach einem kurzen Imbiss bis in die Abendstunde hinein. Es war eine Freude, ihm zuzuschauen.

Als die Sonne hinter die Berge sank, war das Werk getan. Josef eilte behende, wie wenn er einen Spaziergang hinter sich hätte, nach Hause. Was er mit der geheimen Hilfe des Alten vom Müssenberg bewerkstelligt hatte, wäre auch einem starken Manne ohne diese Hilfe nicht gelungen.

Trotz allem war für den Knaben sicher, dass er den Acker vor dem drohenden Winter nicht mehr werde bestellen können, wenn er nicht noch Helfer fand. Aber diese Sorge war unnötig. Anderntags konnte er nämlich feststellen, dass wieder einer in der Bearbeitung der Äcker mitgeholfen hatte. Am übernächsten Morgen war alles schon mit Roggen eingesät, eine Fläche von mehr als drei Morgen.

Nun konnte die Familie am Bollerberge getrost dem Winter entgegensehen, zumal auch das Häuschen wieder wetterfest geworden war und der Schneider die warmen Kleider geliefert hatte. Das folgende Jahr brachte eine gute Ernte und als der Herbst kam, waren die unsichtbaren Geister des Bergriesen wieder am Werk und bestellten die Äcker. Es gab noch einmal eine gute Ernte und wieder war es Herbst und Bestellungszeit, als Josef, der seit einiger Zeit bei einem Bauern in Diensten stand, in der Frühe des Morgens auf der alten Burg zu tun hatte, von wo er die eigenen Acker überschauen konnte.

Da sah er dort eine große Schar winziger Männlein, die emsig hackten und gruben.

Wie von einem Windhauch angerührt oder von einem Ruf aufgeschreckt, hielten sie allesamt plötzlich inne und spähten zur Burg hinüber. Sie hatten gewittert, dass sie beobachtet wurden, und ließen augenblicklich von ihrer Arbeit ab. Husch, husch wie der Wind waren sie davon!

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Josef wusste nun, wer seine fleißigen Helfer gewesen waren. Aber dieses Wissen musste er damit bezahlen, dass sie nie wiederkamen.

Nun, das war nicht gar so schlimm. Er war ja mittlerweile ein kräftiger Kerl geworden und hatte die Landwirtschaft genug erlernt, um seinen Acker nun selber bearbeiten zu können.

Er schaffte sich das nötige Gerät und einen Zugochsen an, werkte auf seinem Anwesen unermüdlich und sorgte für seine kleinen Geschwister in der liebevollsten Weise.

Seine Mutter aber, die wieder gesund gewor­den war, hatte Freude an ihm und sah, wie die Kleinen heranwuchsen und in die Fußstapfen des Vaters und ihres Bruders Josef traten und am Wohlstand des Hauses mitwirkten.

Sie wurde sehr alt und lebte bis an ihr seliges Ende glücklich und zufrieden.

Quelle: "Der Alte vom Müssenberg“ Norbert Voß, neu erzählt nach einem fast vergessenen Sagenbuch von Anton Steinbach / Engelbert-Verlag / Balve/Westf.

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